WORTSYNCHRON

Peter Lewandowski im Gespräch mit:
Holger Meyer und Gregor Gutscher,
Geschäftsführer holger meyer architektur

Fotos: Axel Martens


Das ist die dritte Ausgabe eures Magazins StockWerk. Wie fühlt ihr Architekten euch als Verleger – und warum seid ihr es geworden?

Holger Meyer (HM): Architekten neigen ja dazu – da will ich uns gar nicht ausnehmen –, ihre Welt in schönen Bildern darzustellen. Und diese schönen Bilder, die entwickeln eine eigene Ästhetik, die durchaus ihre Berechtigung hat. Das ist unser Beruf. Das ist unsere Leidenschaft. Aber aus unserer Sicht ist es auch zu kurz gesprungen. Denn Architektur ist viel mehr als ein schönes Bild. Die Architektur steht in einem Kontext, den wir mit StockWerk verdeutlichen möchten: Also warum machen wir Architektur? Für wen machen wir Architektur? Mit wem machen wir Architektur?

Gregor Gutscher (GGU): Beziehungsweise: Wie arbeiten wir? Was interessiert uns? Das ist eben nicht nur Architektur. Sondern die Ideen kommen ja immer von Gott weiß woher. Also mich hat ganz am Anfang meines Studiums ein damaliger Freund gefragt: „Sag mal, hast du eigentlich Bedenken, dass dir irgendwann mal die Ideen ausgehen?“ Die Antwort war ganz einfach: „Nein, ich wüsste nicht warum. Das Feld, woraus sich die Ideen entwickeln, ist ja riesig groß. Ja sogar beliebig groß.“

Was macht eure Arbeit aus? 

HM: Kurz gesprochen: zuhören und verstehen. Das ist kein isolierter Prozess. Ich kann mir etwas Kreatives für mich allein überlegen. Dann mag das schön sein und dann mag das in meiner Welt richtig sein – dann ist es eben ein Bild.

GGU: Und du bist dann eben „nur der Künstler“.

HM: Ja. Aber wir suchen den kontextuellen Zusammenhang. Und den kriegen wir nur hin, wenn wir verstehen: Wer sitzt uns gegenüber? Was will sie oder er und warum? Und wie kann der gemeinsame Weg zum Ziel aussehen?

GGU: Architektur hat immer etwas mit Gesellschaft zu tun, mit vielen Menschen, die das, was wir bauen, am Ende jeden Tag nutzen müssen – oder dürfen (lacht). Es ist immer ein Prozess, in dem man ganz viele Aspekte zusammenbringen muss.

HM: Für mich ist das auch Change Management im Prozess. Eine neue Konzern- oder Unternehmenszentrale beispielsweise ist eine einschneidende Veränderung für ein Unternehmen, weil sie einen kulturellen Wandel in dem Miteinander bewirken kann. Und dieser ganze Prozess, der im Übrigen von ganz vielen unterschätzt wird, ist für uns eine spannende Mediatorenaufgabe. Eine Reise mit einem erstmal ungewissen Ende. Und was steht dann tatsächlich im Mittelpunkt? Bleiben wir beim Beispiel Büro: Wie wird es eine Architektur, mit der sich die Menschen identifizieren? Wie entwickelt sich die Gewichtung zwischen Funktionalität, Klarheit des Konzeptes und gestalterischem Anspruch usw.?

GGU: Und Emotionalität.

HM: Emotionalität – wie funktioniert mein Arbeitsplatz im Kontext mit meinem sonstigen Lebensmodell?

GGU: Mag ich den?

HM: Mag ich den? Will ich da gerne hin? Ich verbringe dort ja mehr Zeit als zuhause. Also, die Vorzeichen haben sich ganz stark verändert. Wir kommen, wenn man so sagen möchte, aus dem Funktionalismus und Brutalismus der Siebziger- und Achtzigerjahre. Da waren die Bürogebäude Maschinen. Die mussten funktionieren. Die mussten effizient sein. Die mussten optimierte Abläufe ermöglichen. Die mussten möglichst modular sein. Heute stehen die Vorzeichen viel mehr unter dem Aspekt Work-Life-Balance, Aufenthaltsqualität, Komfort und Raumgefühl.

GGU: Ja, na klar.

HM: Die Diskussion hatten wir hier im Büro gehabt – wir wollten ein Umfeld schaffen, in dem man sich gerne aufhält, das aber kein „Ersatzzuhause“ sein will. Die Kollegen sind ja auch keine Ersatzfamilie, aber es sollte ein möglichst ausgeglichenes Wohlfühlgefühl dazwischen entstehen. Das ist nicht so einfach und ist auch für jedes Unternehmen und für die Art der Arbeit unterschiedlich. Da gibt es kein Richtig oder Falsch. Durch unsere Arbeit sehen wir, in welche Richtung sich das bei verschiedenen Unternehmen entwickelt. Es passiert gerade wahnsinnig viel. Das Problem dabei ist: Die Manager, die solche Prozesse anschieben oder begleiten, wissen ja vielleicht gar nicht, ob sie noch im Unternehmen sind, wenn das Haus dann fertig ist.

Das ist so ein bisschen wie in der Politik. Man schaut auf ein Unternehmen, das sich gerade in einem unglaublich dynamischen Prozess befindet, und wir müssen Strukturen schaffen, die diese Veränderungen auch in Zukunft abbilden können: Wie arbeiten wir denn zukünftig? Wie viele Mitarbeiter arbeiten wie lange im Home-Office? Die Diskussionen führen wir gerade aktuell. Arbeiten wir mehr in Teams und in Gruppen? Brauchen wir mehr Rückzugsräume, um in Ruhe individuell einzelne Tätigkeiten abwickeln zu können? Brauchen wir ganz kleine Besprechungsräume mit einem großen Bildschirm, weil wir dort eigentlich nur noch zu zweit reingehen und mit jemandem reden, der irgendwo virtuell dabei ist? Früher haben wir Konferenzzentren gebaut mit vielen großen Räumen für viele Personen. Aber da saßen dann immer verloren drei Leute drin. Also haben wir gesagt: Baut doch einfach Clubräume und stellt Sessel rein, so wie in einem Kaminzimmer. So habt ihr für ein Mitarbeitergespräch nicht einen riesigen Tisch, an dem ihr zu zweit oder zu dritt sitzt und eine maximale Distanz aufbaut – sondern ihr setzt euch mal wie im Wohnzimmer gemütlich nebeneinander. Haben wir bei vielen Anwaltskanzleien gemacht, weil das zu einer Entspannung der Gesprächsatmosphäre führt. Das sind so kleine Details, die Planungsaufgaben und Diskussionsprozesse gut beschreiben.

GGU: Ein anderes Beispiel, um das zu verdeutlichen: Warum mögen wir denn alle eine Altbauwohnung? Weil die Altbauwohnung nicht zwingend eine räumliche Festlegung hat, sie funktioniert. Schlafzimmer? Kinderzimmer? Wohnzimmer? Das ist im Altbau frei wählbar. Sogar bis hin zu: Wo ist denn hier die Küche und wo ist das Bad? Weil das Bad halt ursprünglich gar nicht mitgeplant wurde. Das war draußen auf dem Treppenabsatz. Und das bedeutet, dass diese Wohnungen flexibel interpretierbar sind. Wenn man jetzt nur über Funktionalität redet, müssen wir aufpassen, dass es eben nicht nur um das Abzirkeln von Arbeitsstättenrichtlinien und Normen geht, sondern dass das Konzept flexibel ist und man möglichst auch einen starken emotionalen Anker schafft.


Wie wir denken. Wir wir arbeiten. Wie wir ticken.



Wie weit muss man in die Zukunft gucken? Die jetzige Ausgabe von StockWerk hat als roten Faden das Thema „Stadt, Land, Grün“. Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit in eurer Arbeit?

GGU: Ich wünsche mir, dass Nachhaltigkeit anders definiert wird. Ist das Thema Green Building, so wie wir es kennen, konsequent zu Ende gedacht? Die Essenz liegt doch eher in der Frage, welche Struktur das Gebäude an sich hat. Wie viele Tiefgaragengeschosse baue ich heute beispielsweise noch? Momentan wollen die Leute noch Garagen haben – zumindest beim Bürogebäude, aus Vermarktungsgründen. Aber wir wissen doch alle, dass in zehn, 15 Jahren wahrscheinlich kaum jemand danach fragt. Also müssen wir mehr im gesellschaftlichen Kontext, mehr in die Zukunft denken. Wir merken aber auch, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeit noch nicht so beim Bauen an sich angekommen ist, weil wir oft noch zu sehr im Hier und Jetzt denken.

HM: Ich bin trotzdem ganz positiv gestimmt. Wir wissen, wo wir hinmüssen.

GGU: Ja – ich glaube schon ...

HM: Immer mehr Leute erkennen, dass das ein unumkehrbarer Weg ist. Und der wird schlicht über wirtschaftliche Parameter erzwungen. Wir haben vor 15 Jahren angefangen, Gebäude nach Qualitätsstandards, die ökologisch und energetisch sind, zu zertifizieren. Am Anfang hat das keiner gemacht, weil die Investoren gesagt haben: „Das bezahlt mir ja keiner.“ Was ist in den letzten Jahren passiert? Die großen Corporates, die großen Mieter haben alle gesagt: „Wir ziehen in kein Gebäude, das nicht zertifiziert ist.“ Das führt in Folge dann zu Veränderungen bei der Entwicklung von Immobilien. Jetzt werden nicht zertifizierte Gebäude, die nicht einmal zehn Jahre alt sind, verkauft, weil die Mieter rausgehen. Der nächste Schritt, der jetzt folgt, ist, dass alle Unternehmen sich verpflichten, die ESG-Standards einzuhalten. Und die sind in Sachen Social Responsibility noch viel weiter gefasst als bei der Gebäudezertifizierung. Und ich glaube, der Prozess wird durch die Corona-Pandemie – so absurd das klingt – noch beschleunigt.

GGU: Weil sich die Arbeitsplätze verändern und wir über andere Gebäude und Strukturen nachdenken. Wir haben momentan eine unglaubliche Dynamik in den Prozessen.

„WAS MICH IMMER GEPRÄGT HAT, IST NACH LINKS UND RECHTS ZU GUCKEN“

HOLGER MEYER

HM: Bei der Digitalisierung der Baubranche hinkt Deutschland mächtig hinterher. Darin liegt aber der Schlüssel für wirklich nachhaltiges Bauen. Wir in Deutschland werden daher in technischen Belangen nur mit wenig neuen Erkenntnissen aus der Corona-Krise rausgehen, weil wir einfach zu langsam sind. Das ist auch der Grund, warum wir manchen technologischen Prozessen einfach hinterherlaufen. Und so ist es beim Bauen leider auch: Wir hängen die Latte immer so hoch, dass nur noch die wenigsten drüberspringen können. Und das macht das Bauen halt einfach extrem teuer. Aber es gibt gute Beispiele in anderen Ländern.

GGU: In den Niederlanden werden Gebäude zunehmend katalogisiert: Es ist bekannt, was alles an Material verbaut wurde. Und damit kann man dann auch einen Restwert berechnen. Von investierten 67 Millionen bleiben dann 22 an Materialwert über, der sich irgendwie wiederverkaufen lässt. Und dann kriegt das Ganze auf einmal einen ganz anderen Wert. Dann habe ich auf einmal die Möglichkeit zu sagen: Okay, das Haus darf auch 77 Millionen kosten, weil ich weiß, dass ich 22 davon irgendwie auf der Haben-Seite buchen kann. Das bringt die Sache auf ein ganz anderes Level. Und davon sind wir in der Planung noch relativ weit weg, in Deutschland zumindest. Da fallen mir nicht sehr viele Beispiele ein.

 


Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Auf einem Foto hast du, Gregor, ein T-Shirt von Motörhead an. War das Zufall? Gehört das zu deiner musikalischen Leidenschaft? Ist das eine Inspirationsquelle?

GGU: Musik ist für mich enorm wichtig – als emotionales Pendel. Ich bin kein Heavy-Metal-Typ, aber ich mag den zu früh verstorbenen Lemmy von Motörhead. Der Mann hatte unglaubliche Facetten. War in alle Richtungen interessiert und open-minded – da sind neben Whiskey-Cola-Trinken eben auch Tangotanz und alte englische Benimmschule mit dabei. Und dann war er textsicher bei Abba-Songs und hielt Phil Collins für einen der besten Schlagzeuger der Welt – yes indeed.

Welches T-Shirt würdest du denn anziehen, Holger?

HM: Ehrlich? Ich bin überhaupt nicht der T-Shirt-Typ. Was mich aber immer geprägt hat, ist, nach links und rechts zu schauen. Ich fühle mich total wohl in meiner Architektenblase, aber ich verlasse sie auch gerne, gerade in meinem Privatleben. Mich interessieren Freunde, die anderes tun als Architektur. Ich will einfach wissen, will verstehen und bin immer neugierig, wie diese Welt drum herum sich verändert. Der Antrieb für mich, die Inspirationsquelle, ist eigentlich immer alles, was jenseits der Architektur passiert. Wie kommunizieren zwei Architekten wie ihr beiden miteinander? Wie ergänzt ihr euch?

HM: Wir haben tatsächlich in der Einheitlichkeit der Kommunikation eine relativ hohe Trefferquote. Manchmal lachen die Kollegen, weil wir parallel die gleichen Sachen spontan sagen. Sie sind manchmal eine Nuance anders ausgedrückt, aber zeitgleich.

GGU: Wortsynchron.

HM: Wortsynchron.

Ein schönes Schlusswort. Danke.