DREHBÜCHER FÜR STÄDTE

Fotos: Axel Martens


Die Stadt Milwaukee (USA) ist laut ECI-Ranking eine der lebenswertesten Städte der Welt. Bei der Beurteilung wurden Parameter wie Stabilität, Gesundheitsversorgung, Kultur, Umwelt und vieles mehr berücksichtigt. Was macht aus eurer Sicht eine lebenswerte Großstadt aus?

Raimund Holubek (RH): Wesentliche Faktoren sind eine gute Durchmischung der gesellschaftlichen Schichten, aber auch die intelligente Nutzung von Flächen und die Überlagerung vielfältiger Funktionen, wobei dem städtischen Freiraum auch eine erhebliche Bedeutung zukommt.

Gregor Gutscher (GGU): Es geht doch um Identifikation und Tradition. Die Milwaukee Bucks sind eine ziemlich gute Basketballmannschaft, wie bei uns in Frankfurt die SGE. Damit identifizieren sich die Menschen. Und das kann man genauso mit Orten oder mit räumlicher Qualität schaffen.

Holger Meyer (HM): Was suchen wir denn? Wir suchen den Ort mit Charakter. Städte, die uns gefallen, Stadträume, die wir mögen und in denen wir uns wohlfühlen und die sichtbar und ablesbar durch ihre historische Entwicklung geprägt sind. Leider sind uns solche Orte an vielen Stellen verloren gegangen.

Ist auch die immer stärkere Einheitlichkeit der Innenstädte und des Städtebaus ein Problem?

HM: Leider ähneln die Stadtzentren einander immer mehr, werden immer austauschbarer. Das liegt vielfach auch an der Vereinheitlichung des Einzelhandels – Ketten überall. Ich habe überall das gleiche Angebot und alles sieht gleich aus. Damit geht der individuelle Charme, den wir eigentlich suchen, verloren.

Darauf hat aber die Architektur keinen Einfluss.
HM: Nein. Aber Corona ist auch hier ein Beschleuniger von Entwicklungen, die ohnehin schon vorher eingesetzt haben. Dies bietet jedoch erhebliche Chancen, da die meisten Städte noch keine Antworten haben auf das, was passieren soll, wenn dieser uniforme Handel notleidend wird.

Mit »holger meyer urban« habt ihr jetzt eine neue Unit gegründet. Mit welchem Ziel?

RH: Unsere Lebensräume sind ja einem permanenten Wandel unterworfen – dem müssen und wollen wir uns stellen. Carl Fingerhuth hat einmal gesagt: „Stadtentwicklung und Stadtplanung kann man wie einen Film betrachten, der permanent fortgeschrieben wird, während die einzelnen Gebäude wie Einzelbilder sind. Die werden ausgetauscht und sind flexibel.“ Als Planer hat man ähnlich wie ein Regisseur Einfluss auf die Story und übernimmt eine gewisse Verantwortung für die Entwicklung. Ich glaube, das ist für mich ein ganz gutes Bild, wie wir uns oder wie ich mich auch als Stadtplaner verstehe.

HM: Um bei dem Bild zu bleiben: »holger meyer urban« ist der Film und »holger meyer architektur« die einzelne Szene. Der Fokus von dem Einzelbild Gebäude verschiebt sich zusehends auf das Umfeld und das Gebilde Stadt. Es gibt übergeordnete gesellschaftliche Themen, die das forcieren: Wir haben uns 15 Jahre lang mit einem Wahnsinns-Technologieprozess auseinandergesetzt, den wir jetzt unter dem Stichwort Smart City für uns nutzbar machen. Und wir kommen von der autogerechten Stadt zu einer mit vollkommen neuen Mobilitätsstrukturen. Diesem Wandel wollen wir uns mit »hmu« stellen.


Das heißt, »holger meyer urban« denkt nicht mehr in Häusern, sondern komplexer in Quartieren oder Vierteln oder in vielleicht noch größeren Dimensionen?

RH: Wenn man sich mit einer Planungsaufgabe in einem größeren Maßstab beschäftigt, muss man sich vor Augen führen, in welchem Kontext solch ein Vorhaben steht. Das Eingehen auf die Gegebenheiten des Ortes, das Aufgreifen vorgefundener Merkmale und Strukturen und das Weiterentwickeln und Integrieren bestimmter Aspekte führen oftmals zu Konzepten mit neuen Identitäten, die nachhaltiger sind, da sie die Geschichte fortschreiben.

GGU: Es geht im Städtebau ja auch ums „Storytelling“.

Storytelling? Gibt es da ein Beispiel?

GGU: Etwa das Werksviertel in München hinter dem Ostbahnhof. Hier werden auf einmalige Weise Arbeiten, Wohnen und Leben miteinander verwoben, auch weil der dort existierende Bestand geschickt in das Projekt integriert wurde. Es gibt dort im Bestand vom Rüstungsunternehmen bis zum Lebensmittelgroßhandel so einiges – von den temporären kulturellen Einrichtungen ganz zu schweigen. Unterschiedliche gesellschaftliche Schichten und Funktionen sind auf einem Raum mit guter Infrastruktur vermischt. Für viele Ballungszentren hat so etwas Vorbildcharakter.

HM: Wir wollen unsere Ideen künftig in unterschiedlichen Maßstäben entwickeln und umsetzen – ein guter Stadtplaner ist nicht zwangsläufig auch ein guter Architekt und umgekehrt eben auch nicht.