GEBÄUDE GEHEN - DIE FOTOS BLEIBEN

Lars Stapler im Gespräch mit:
HGEsch, Architekturfotograf

Fotos: Robertino Nikolic


Mit großformatigen Fotografien von den Skylines der Megacitys dieser Welt wurde der Fotograf Hans Georg Esch weit über die Architekturszene hinaus bekannt. 1964 in Neuwied geboren lebt und arbeitet Esch in Blankenberg im Siegerland. Sein Studio bietet neben Architektur-, Produkt- und Kunstfotografie auch Buch- und Videoproduktionen mit dem Fokus Architektur an. In Zusammenarbeit mit weltweit führenden Herstellern wie Leica oder Samsung entwickelt Esch neue technische Produkte, um seine aufwändigen Produktionen noch besser erlebbar zu machen.

Auf der A 3 Richtung Köln, Ausfahrt Siebengebirge. Das Band der Autobahn weicht einer bewegten Landschaft. Schmale Straßen schlängeln sich durch Wälder, Felder und Dörfer. Wir sind auf dem Weg zu HGEsch, einem der zurzeit bekanntesten Architekturfotografen Deutschlands. Seine großformatigen Stadtansichten machten ihn weltweit bekannt. Wir treffen den Fotografen abseits jeglicher Urbanität in seinem Studio in Blankenberg im Siegerland.

Du reist viel und arbeitest in den Metropolen dieser Welt, aber du wohnst hier auf dem Land. Eine bewusste Entscheidung?

HG Esch (HGE): Ich bin gerne hier in meinem Studio auf dem Land. Stadt und Land sind für mich zwei Themenbereiche, die ich nicht trennen möchte. Es gibt gute Architektur in der Stadt und auf dem Land. Und beides ist eine Herausforderung. Ich gehe mit gleicher Intention, gleichem Herzblut und gleicher Leidenschaft an jeden Job. Und nach Einsätzen in Shanghai, Tokio oder Rio genieße ich dann die Abgeschiedenheit meines Studios – einfach mal ins Grüne gucken, die Augen ausruhen und mit dem Rad durch die Natur fahren. Womit wir schon beim Thema wären: In deinen großen Stadtansichten tritt der Mensch zugunsten der Komposition in den Hintergrund. Es fehlt der menschliche Bezug.

HGE: Das finde ich nicht, der architektonische Raum bezieht sich immer auf den Menschen als Maß. Ob ich das jetzt auf den Bildern sehe oder nicht, ist für mich nachrangig. Im Gegenteil, ich mag es nicht, wenn auf Bildern Menschen platziert werden, nur um den menschlichen Bezug herzustellen. Viel wichtiger finde ich es, nach einer Zeit noch einmal zu schauen, wie das Haus bei den Menschen angekommen ist, wie sie mit der Architektur umgehen, ob sie sich wohlfühlen und wie sie dort leben oder arbeiten. Ich rate meinen Kunden immer, ihre Häuser mit Distanz noch einmal zu besuchen. Wir haben gerade das Buch „Restlicht“ herausgebracht, das ist genauso eine Geschichte: die ehemalige Osram-Zentrale in München von Walter Henn. Gunther Henn bat mich vor zehn Jahren das Haus noch einmal zu fotografieren. Heidersberger, der Fotograf der Nachkriegsmoderne, hatte das Haus in den 1960ern in Schwarzweiß fotografiert und es hatte noch immer diesen Charme. Es wurde dann als Flüchtlingsheim genutzt, nachdem Osram ausgezogen war. Auch das habe ich im Foto festgehalten: 800 Flüchtlinge lebten in den ehemals ersten Großraumbüros Deutschlands. Dann wurde es unter Denkmalschutz gestellt und ist trotzdem abgerissen worden. Und auch das habe ich noch fotografiert. Ein Gebäude als Fotograf so begleiten zu dürfen finde ich sehr spannend. Die Gebäude gehen und nur die Fotos bleiben. Also, nach dem Auslösen hast du ein Stück Geschichte gemacht.

In dem Buch stehen die Schwarzweiß-Aufnahmen von Heidersberger deinen farbigen gegenüber – was ist deine Vorliebe?

HGE: Beides. Es gibt Motive, die sind in Schwarzweiß schöner als in Farbe. Man fotografiert anders in Schwarzweiß, da sich die Räume durch viel mehr Kontrast- und Schattenwirkungen auszeichnen, und da musst du natürlich wissen, ob du das nachher in Schwarzweiß zeigst oder in Farbe. Die Idee entsteht schon, während ich fotografiere.

Machst du manchmal noch analoge Bilder?

HGE: Nein. Analog ist in der kommerziellen Fotografie kein Thema mehr. Die digitale Technik bringt so viele Vorteile. Ich war mit der erste Architekturfotograf, der digitale Techniken genutzt hat. Alles begann 2001 mit einem Kalenderprojekt. Wir haben parallel digital und analog fotografiert, aber am Ende wurde nur ein digitales Motiv ausgewählt, alle anderen verwendeten Aufnahmen basierten auf analoger Grundlage. Als Honorar gab es ein digitales Rückteil. Das lag dann zwei Jahre bei mir im Schrank, bis ein Kunde binnen zwei Tagen Bilder von einem Haus in Dubai brauchte. Das ging nur digital. Nach diesem Einsatz war ich von der digitalen Arbeitsweise und deren Möglichkeit überzeugt und trennte mich drei Monate später von allen analogen Geräten.

Holger Meyer (HM): Entstehen die Bilder zuerst in deinem Kopf?

HGE: Ja, jedes Bild erarbeite ich mir zuerst im Kopf und dann setze ich das mit der Kamera um. Bevor ich anfange zu fotografieren, schaue ich mir alles genau an und lasse mich inspirieren. Für mich ist das Gebäude die Inszenierung selbst, die ich nur fotografiere. Ich versuche das Haus aus unterschiedlichsten Blickwinkeln zu erfassen, damit es dann auch umfassend dargestellt wird. Dank der Technik hat man heute auch sofort ein Ergebnis. Aber es gibt immer wieder Momente, die kannst du nicht vorhersehen.

HM: In deinen Arbeiten stellst du die Objekte in einen Kontext mit der Stadt und dem öffentlichen Raum, um so die Abstraktion des Objekts aufzulösen und das in einem Gesamtzusammenhang zu zeigen. Um beurteilen zu können, wie das Objekt in seinem unmittelbaren Umfeld wirkt, müssen wir Architekten unsere Häuser im Kontext zeigen. Das ist, was wir an deiner Arbeit so schätzen. Es erzeugt eine atmosphärische Dichte – das gibt deinen Bildern etwas ganz Besonderes.






HGE: Dass man sich von der reinen Dokumentation des einzelnen Gebäudes löst, hin zu dem Gesamten, ist gerade ein Trend in der Architekturfotografie. Ich war einer der Ersten, die große Stadtansichten realisiert haben. Ein Gebäude wirkt von sich aus im Stadtraum, aber diese Wirkung fotografisch einzufangen, darin liegt die Herausforderung. Und durch diese kontextuelle Darstellung erfährt das Haus durch den Betrachter eine extreme Wertschätzung.

HM: Mich fasziniert auch der Grad der Abstraktion in deinen Fotos. Wir Architekten versuchen mit unseren Visualisierungen die Realität digital vorwegzunehmen. Wir erzeugen Bilder, in denen der Laie vielleicht keinen Unterschied zur Realität mehr erkennen kann. Wenn das Haus dann steht, kommt HGEsch und macht aus der gebauten Realität wieder eine Abstraktion. Diese Abstraktionsebene in deinen Fotos begeistert uns, weil wieder etwas Abstraktes aus dem Gebauten entsteht. Eigentlich versuchen wir genau diese Stimmung und Abstraktion in den Visualisierungen zu generieren, finden sie dann aber erst wieder in deinen Bildern.

HGE: Das Haus steht und reagiert im städtebaulichen oder im landschaftlichen Kontext, das kannst du nur fotografisch darstellen. Das geht nicht im Rendering. Es ist die Suche nach der Realität, nach dem Beweis. Die Abbildung der Realität ist mir dabei sehr wichtig. Wir machen gerade ein Buch über unsere Auftragsarbeiten – Commissioned Works. Da gibt es auch einen Theorieteil von Peter Cachola Schmal. Er geht davon aus, dass Renderings die Fotografie ablösen. Das sehe ich nicht so.

HM: Es überrascht mich immer wieder, was für ein anderes Bild du von dem gebauten Objekt machst. Beim St. Martin Tower zum Beispiel. Ich habe mich räumlich intensiv mit dem Vorplatz auseinandergesetzt, aber nie diese Dramatik des aufstrebenden Gebäudes gesehen, wie du sie eingefangen hast.

HGE: Ja, es sind immer die überraschenden Fotos, die nachher hängen bleiben und dann meist publiziert werden. Das muss man aber erst einmal finden und gedanklich ausarbeiten. Ich bin bei der Arbeit nicht ansprechbar und meine Kunden lassen mich frei arbeiten. Keiner sagt mir vorher, wo ich mich hinzustellen habe.

HM: Aber gibt es da noch Sachen, wo man davorsteht und sagt: „Das gibt mir jetzt gerade mal gar nichts.“?

HGE: Fotografie ist meine Leidenschaft. Auch profane Architektur kann interessante Seiten haben. Das rauszuarbeiten ist für mich immer wieder eine Herausforderung. Deshalb gibt es kaum etwas, zu dem ich Nein sage. Zur Not fährt man öfter hin, um sich eingehender damit zu beschäftigen. Ich kitzle immer das Letzte raus, bis es für mich und für den Kunden passt. Das Wetter ist in der Regel der größte Unsicherheitsfaktor, aber auch der größte Impulsgeber. Ein Bild wie das der Abtei Michaelsberg mit der Landschaft im Nebel gibt es nicht auf Bestellung. Du musst flexibel sein und bis zum Schluss dranbleiben.

Machst du alle Fotos noch selbst?

HGE: Die meisten Fotos mache ich noch selbst. Ich bin 200 Tage im Jahr unterwegs, stehe selbst hinter der Kamera. Ich beschäftige hier aber mittlerweile 17 Mitarbeiter. Das bringt noch mal andere Blickrichtungen rein und macht unser Spektrum auch breiter, ist jedoch auch viel Organisation. Aber die Fotografen, die für mich arbeiten, sind in ihrer Wahrnehmung und ihrer Bildsprache so geschult, dass ich einhundert Prozent HGEsch darunterschreiben kann.

HM: Wir Architekten arbeiten auch im Team, der kreative Austausch in dem Prozess wirkt immer inspirierend. Man muss aber auch die kreative Federführung in Anspruch nehmen. Ich sehe das in der Tradition der alten Meister, wo man in die Werkstatt von Rubens gegangen ist, um zu lernen und zu kopieren. Rubens hat seine Werke nicht allein gemalt und trotzdem sind es alle Rubens. Das ist eine gute Tradition, Kreativität aus dem Team heraus zu entwickeln.

HGE: Ja, und man entwickelt sich mit dem Team auch wieder selbst weiter. Eigentlich prägst du als Fotograf das Branding – die Marke – der Büros mit, weil am Ende immer die Fotos als Referenz nach draußen gehen.

HGE: Die wenigsten schauen sich das Haus live an, die sehen nur die Bilder. Ingenhoven sagt immer: „Hans Georg, du transportierst unsere Architektur.“ Und so entwickelt man für jeden Kunden eine eigene Bildsprache. Ich fotografiere für Henn anders als für Ingenhoven, KPF oder Holger Meyer, weil es ja auch immer eine andere Architektur ist. Das ist aber genau das, was es ausmacht, dich auf den Kunden einzulassen und dich mit ihm zusammen zu entwickeln.
Letztens sagte ein Architekt zur mir: „In deinen Bildern entdecke ich immer so viel Neues und Schönes, das ich dann wieder in meine Arbeit einfließen lassen kann. Aber auch Dinge, die wir besser hätten machen können.“
Und sogar jetzt in Corona-Zeiten habe ich eine sehr schöne Erfahrung gemacht. Wir haben letztes Jahr in Köln für eine Ausstellung meiner Arbeiten eine kleine Kapelle angemietet. Jeder Besucher hatte wegen der Pandemie die Ausstellung für sich allein und wir waren ein Jahr lang jeden Tag ausgebucht. Die Leute sind zum Teil mehrere Stunden geblieben, haben sich die Zeit genommen, sich mit meinen Fotografien auseinanderzusetzen. Und das finde ich so wunderbar an meinem Beruf, dass ich die Menschen mitnehmen kann auf meine Reisen.


Besten Dank für diese Einblicke.